Flur/Esszimmer. Das Subjekt, der Biologe, ein Kasache, Prinz
Dauer: 14 Minuten
Enger Raum mit kalten Licht, schmale sechs Meter lange Tafel an der einen weißen Wand, opulent gefüllt mit Speisen und ausladender Tischdekoration für ein dramatisches Abendessen. An den Tischenden je ein Stuhl, auf der einen Seite sitzt der Biologe, fokussiert auf das Mikroskop das statt einem Teller vor ihm steht, am anderen Ende sitzt das Subjekt, steckt dem Mannequin, an der schmalen Seite sitzend und einen Torbogen versperrend, Brotkrümel in den offenen Plastikmund. Das Mannequin trägt ein magentafarbenes Handtuch über seine Schultern, hat ein Pflaster auf dem Arm.
DAS SUBJEKT(während es das Mannequin füttert) Weißt du wo der Kasache ihn gefunden hat? (Pause) Weißt Du wo er gewesen ist? (Längere Pause, das Subjekt atmet tief ein)
Der Biologe ist in sein eigenes Sein vertieft, öffnet hörbar ein Glas, antwortet nicht.
DAS SUBJEKT So schmutzig, wie er da lag. (Nachdenklich, traurig) Hat doch nach Duschgang gerochen, oder nicht?
DER BIOLOGE (leise, mechanisch, ohne den Blick vom Mikroskop zu heben) Es gibt Muster, es gibt Linien was sag ich, nichts niemanden. Weil schau Dir mal den Dreck unter meinen Nägeln an ...
Oder riech mal am Staubsauger. (Deutet auf den Türbogen) Ja, bitte. Staubig.
Pause. Beide fokussieren sich wieder auf das Mikroskopieren und das Essen. Der Biologe untersucht sein Gewebe, das Subjekt füttert das Mannequin.
DAS SUBJEKT (leise) Da wäre er fast zu spät gekommen. (Pause) Beinahe dreckig geblieben.
Die Szene fährt fort. Der Biologe isst immer wieder Kleinigkeiten von der Glasplatte seines Mikroskopes.
DER BIOLOGE Die Haut kann sich fast wie eine Broschüre lesen lassen. Aber die Oberhaut ist nicht die gleiche wie vorher. (Lange Pause) Die Haut ist auch nicht immer gleich. Verantwortung hallt
gut im leeren Raum, aber wer entscheidet, wer am Tisch sitzt? (Wechselt die Petrischale) Ja, er musste wirklich gewaschen werden. Ein Fehler in der Beschaffenheit, sozusagen. Das
sage ich zumindest immer so. Aber Du hast es ja abgewaschen, gute Arbeit.
DAS SUBJEKT (schaut vom Mannequin zum Biologen) Fehler, danke. (Schaut auf das Mannequin) Er ist einfach nur ein wenig schmutzig gewesen, nicht? War einfach nur… bedreckt. Ich habe ihn
gewaschen, weil er es gebraucht haben muss.
DER BIOLOGE (verzieht kaum den Gesichtsausdruck, spricht weiter, als ob er in einem anderen Raum wäre) Gebraucht haben muss, gesinnt haben werden. Riech am Staubsauger, geh geh! Jeder
Zustand ist ein Fehler in der ursprünglichen Form. Die Haut die wir haben ist nur eine Kopie. Jede Kopie hat Risse. (Laut) UND Muster. Keiner fragt warum die Wand weiß ist, und
schon gar nicht ich! Die haben da eingekritzelt die Spuren von etwas, das verloren gegangen ist. Ja. Einmal, zweimal.
DAS SUBJEKT (ein wenig hitzig) Und was ist mit ihm? Warum ist er so wichtig? Ich meine... (das Subjekt zügelt sich, verstummt, steckt einen weiteren Brösel in den Plastikmund)
Es wird wieder stiller an der Tafel. Das Subjekt füttert das Mannequin, es sind Geräusche der Petrischalen zu hören.
DAS SUBJEKT (zu sich selbst) Die haben ihn einfach weggetragen.
Das Subjekt streicht der Puppe verständnisvoll über die Hand, steckt sich selbst ein Krümel in den Mund.
DER BIOLOGE (redet mit sich selbst) Weil er es verdient hat, das sage ich Dir doch. Ein Stück Plastik, das lebt. So leben sie alle. Nicht die Haut, nicht das Blut sondern strukturelles
dahinter. (Er zeigt auf das Mikroskop) Schau. Hier. (Leise) Es gibt keine Grenzen, nur Übergänge.
DAS SUBJEKT Nicht während des Essens.
Der Kasache tritt vom rechten vorderen Beginn des Flurs auf, trägt ein langes Abendkleid und blickt stumm in den Raum. Er geht die lange Seite des Tisches entlang bis er vor dem Mannequin stehen bleibt. Das Subjekt blickt ihn an. Der Kasache nickt zur Begrüßung.
DAS SUBJEKT (spricht zum Biologen) Schau, ich hab ihm eines Deiner Kleider zum anziehen gegeben! (zeigt zum Kasachen)
Der Biologe sieht nicht auf.
DAS SUBJEKT Berühr‘ ihn nicht, er ist frisch! (Der Kasache zieht seine Finger vom Mannequin zurück) Komm schon, das ist Platz für dich hier. (Schaut zum
Biologen) Biologe! Frag ihn, wo er die Puppe fand! (Schaut zum Kasachen) Kasache, wo ist er gewesen?
DER BIOLOGE (ohne aufzusehen, leise und fast träumerisch) Nein, da ist keiner. Was rede ich mit den anderen. Der Tisch ist voll! Muster und Meditation. Immer wieder, keine Zeit für die anderen die
anders aussehen. Es ist doch völlig egal wo der Kasache ihn fand. Der Mensch, der keine Worte braucht um sich auszudrücken ist frei von Gravitation, aber was soll das schon heißen,
richtig? Wie auch immer. Der ist einfach nur frei, aber der Geflohene, der ist ja auch frei. Aus freien Stücken gegangen. Der hat sicher deine Puppe mitgenommen! Was stimmt schon,
richtig. Richtig?
DAS SUBJEKT (hat in der Zwischenzeit den Staubsauger geholt, hält den Schlauch mit beiden Händen fest während das Rohr unter der Nase endet) Jetzt red keinen Blödsinn. Der Kasache ist
doch nicht schon immer stumm gewesen! (Zum Kasachen) Wen hast Du gesehen? (Zum Biologen) Nun schau doch wenigstens.
Das Subjekt schaltet den Staubsauger ein gleichzeitig schaltet der Kasache dem Biologen sein Mikroskop aus. Pause. Der Biologe schaut zum ersten Mal auf. Er sieht verärgert aus. Der Biologe schaltet es direkt wieder ein. Der Kasache geht zurück ans andere Tischende zum Mannequin. Aus seiner Handtasche zieht er eine Perrücke und setzt sie dem Mannequin auf. Dabei fallen der Puppe alle Brösel aus dem Mund. Das Subjekt versucht die Krümel aufzufangen, aber es gelingt ihm nicht.
DAS SUBJEKT (muss sich zusammenreißen um nicht zu weinen anzufangen) Nun ist es denn zu viel verlangt, von einem jedem einmal die Aufmerksamkeit zu erhaschen! So laufe ich doch nicht um
sonst draußen umher und frage mich, wo ist er denn wo ist er denn der Prinz, meine Idee war es schließlich nicht, richtig, richtig? (Die Stimme vertrocknet)
DER BIOLOGE Was ist es denn, das ausgerechnet Dir das Recht gibt sich zu beschweren.
Ich habe mir das ganze ja nicht ausgesucht, hier zu leben im 13 Bezirk, hier mit diesen
Wahnsinnigen, und überhaupt, wer wohnt denn schon im 13! Niemand der etwas von sich halten möchte jedenfalls. Und weißt Du was da noch dabei lag bei deiner blöden Puppe? Ja
ganz recht, die Regenjacke.
Das Subjekt reißt die Augen auf, sieht vom Biologen zum Kasachen.
DER BIOLOGE (zum Subjekt gewandt, wütend) Ganz recht. Den schönen Regenmantel den Dir die Nachbarin gab, die die der Kasache die ganze Zeit angezogen hat, (schaut vorwurfsvoll zum
Kasachen) und weil sonst offenbar hier nichts von Wichtigkeit ist denke ich mir, da nimmt man sich einfach die Dinge der anderen, richtig? So macht der Kasache das eben hier im
Haus, (schreiend) ja ganz recht! Deshalb sitzen die beiden da ja.(Zeigt auf die Puppe und den Kasachen) Womit habe ich das verdient, das ist was ich mir fortwährend denke, tag ein tag
aus starrt der eine in die Linse aber nicht die Mikroskoplinse, nein nein die der Gesellschaftsbrille, Unsinn sag ich da, und der andere, noch unsinniger, wandert umher in Frauenkleidern
aber eben nur im 13. Bezirk und nirgends sonst! Und ich, ich wünsche mir nichts anderes als
ein friedliches Abendessen zu veranstalten, weil eingeladen habe ich ja noch nicht mal jemanden außer den Prinzen,(aufbrausend) das ist es doch, was macht der eigentlich hier.
Was ist mit ihm? Was macht er mit dem Mannequin? (Es blickt auf das Mannequin und dann wieder zum Subjekt) Ich sage Dir, er wird es immer wieder anfassen.
Das Subjekt versucht die Situation zu überhören, fängt etwas unsicher an, Dinge auf dem Tisch neu zu arrangieren, nimmt dem Prinzen die Perrücke ab, beginnt wieder ihn zu füttern.
DAS SUBJEKT (wechselt das Thema) Erst kürzlich da musste ich lesen, blablabla (ausschweifende Handbewegung) weil ihm doch aber die Worte gar nicht gehört haben, habe ich mir gedacht, dem
wird hoffentlich nie jemand zuhören,weißt Du und da habe ich einfach gedacht, lass es uns Rassismus nennen.
DER BIOLOGE (lacht zynisch, sein Blick bleibt bei den Mustern im Mikroskop, als ob die Szene um ihn herum ihn nicht berührt) Wir sind doch alle in bester Gesellschaft.
DAS SUBJEKT Allerbeste Gesellschaft, ich weine! Ich hasse. Da bringt auch die Barbie nichts.
Pause.
DER BIOLOGE Nun schick ihn schon weg, den anderen! (Zeigt erneut auf den Kasachen)
DAS SUBJEKT (traurig, aber resistent) Jetzt ist es also wirklich nicht erlaubt? (Schaut zum Kasachen) Er darf nicht teilhaben?
Der Kasache steigt über das Mannequin und verschwindet durch den Türrahmen. Das Subjekt sieht den Biologen enttäuscht an.
DAS SUBJEKT Immer bist Du so.
DER BIOLOGE (ermahnend) Ich habe Dir gleich gesagt, dass Du nicht zum Abendessen kommen darfst, wenn Du Dich nicht benimmst.
Das Subjekt hält die Hand des Mannequins aber setzt sich wieder. Es beginnt erneut das Mannequin zu füttern und ignoriert den Kasachen.
DAS SUBJEKT (an den Biologen gewandt) Willst Du denn nichts essen?
DER BIOLOGE (bereits wieder in sein Mikroskop vertieft) Nein.
Der Kasache schaut auf das Mannequin, das immer noch die Perücke trägt, alles ist wie erstarrt für einen längeren Moment.
DER BIOLOGE (an das Subjekt gewandt) Er versteht die Frage nicht. Er kennt die Antwort bereits.
Das Subjekt setzt sich die Perrücke auf, nimmt das Mannequin und verlässt ebenfalls durch den Türbogen den Raum. Zurück bleibt der Biologe, vertieft in sein Mikroskop, das Licht verändert sich ins Braune.
DER BIOLOGE (schließt das Mikroskop, sieht endlich richtig auf) Der Kasache hat den Übergang geschafft. Der Rest ist nur… Gewebe.